Weitwandern oder nicht… warum Wandern auch enttäuschen kann

Wenn man die Energie, Zeit aufbringen kann einen Weit-/Fernwanderweg wie zB den Appalachian Trail n durchzuwandern dann ist man zweifellos in einer glücklichen Lage! Aber was, wenn man nicht die Möglichkeit hat sich für einige Wochen, Monate von der Familie, vom Job frei zu nehmen? Wenn man also nur für einige Wochen im Jahr seinem Ziel eine Weitwanderung zu machen nachgehen kann?

 Eine wirklich spannende aber auch philosophische Frage! In meinen Jahren als Etappen Wanderer am Appalachian Trail habe ich viele Wanderkollegen gefragt „are you a Thru-Hiker? – bis du ein Durchgeher?  Alle haben Ja gesagt, viele von Ihnen habe ich in meinen Wochen am Trail nie mehr wieder gesehen! Auch wenn man die Trial-Journals ein bißchen durchsieht merkt man schnell, dass zwischen Wunsch und Wirklichkeit manchmal sehr wenige Tage liegen! Der Wunsch ist bei fast allen eine Weitwanderung zu vollenden, die Wirklichkeit sieht oft schnell ganz anders aus.
Ich hatte zB mit Christian aus Hamburg Kontakt! Ich habe Christian über eine E-Mail Anfrage bzgl der richtigen Ausrüstung für den Appalachian Trail kennengelernt. Christian gehört ebenfalls zur Gruppe der Weitwanderer und hatte sich mit seinen 43 Jahren das Ziel gesetzt den Appalachian Trail durchzuwandern. Ende März ist er am Springer Mountain aufgebrochen. Er hat seine Wanderung mittels Video bestens dokumentiert; übrigens für jeden der überlegt den Appalachian Trail auszuprobieren eine gute Info-Quelle ( unter Appalachian Trail – Durchwanderer). Nach 71  Tagen hat er seinen Plan aufgegeben. Als Grund für sein Scheitern gab er an, die Lust am Wandern sei ihm verloren gegangen!

Aber ist ein Fernwanderweg wie der Appalachian Trail eigentlich ein Weg, ein Pfad der lustvoll zu wandern ist?  Kommt drauf an, was man unter Wandern versteht. Versteht man darunter ein erholsames Gehen in moderatem Gelände, so wird diese Erwartung bei einer Wanderung auf dem Appalachian Trail enttäuscht werden. Den mit Wandern hat der Appalachian Trail wirklich nichts zu tun! Ehrlich gesagt, es ist teilweise richtig anstrengend und gefährlich! Aber das ist ja wohl der Reiz, die Herausforderung dieses Unterfangens! Am Beginn meiner Weitwanderungen war ich in vielen Dingen blauäugig, aber eines war mir schon bewußt! Ich mußte zumindest körperlich und psychisch gut vorbereitet  sein. Ich bin überzeugt, dass die Einstellung, dass die körperliche Fitness schon kommen wird (die „trail-legs“ werden schon wachsen) vielleicht bei Einzelnen funktioniert. Jedoch führt meiner Erfahrung nach, diese Einstellung bei den meisten Gehern nach kürzester Zeit zum Ausstieg aus einer Weit- oder Trailwanderung. Wer morgens mit schmerzenden Beinen aufwacht in der Erwartung, wieder 20 – 25 Kilometer gehen zu müssen, der hat wirklich schlechte Karten! Worin liegt  der Genuß, der Lustgewinn, einer Weit- oder Trailwanderung? Wer zb am Appalachian Trail die Stein- und Geröllwüsten in Pennsylvania als lustvolles Wandergebiet bezeichnet ist schlichtweg ein Masochist! Diese Abschnitte zu bewältigen ist einfach Herausforderung und definitiv eine Frage der körperlichen und geistigen Fitness! Christian aus Hamburg schildert in seinen Blogs relativ viele Zero-Days (Rasttage), Besuche von Wander-Festen und  die Möglichkeit oft Slack-packing in Anspruch zu nehmen.
Ich denke, dies passt nicht zu dieser Art von Weitwandern. Der Verzicht auf normales Essen und Trinken, oft für viele Tage, ist fixer Bestandteil einer Weit- oder Trailwanderung. Ich habe es wirklich für sinnbringend empfunden wie einfach Leben wird, es reduzierte sich auf die Frage Hast du genug zu Trinken?, dies hieß Wasser  bzw. weißt du wo die nächste Quelle ist?  und Hast du genug zu Essen in deinem Rucksack? Es war kein Platz für Gedanken an Bier, Burger usw. Diese Erfahrung zeigte mir aber auch in welchen Überfluss  wir leben! Ich lernte Demut aus dieser Realität! Für mich hieß der Lustgewinn einfach Natur erleben! Ich war in meinem Leben noch nie so tief drinnen im Schoß der Mutter Natur wie teilweise am Appalachian Trail.  Natürlich war ich in Österreich oft in den Wäldern und auf den Bergen unterwegs, aber der Appalachian Trail lehrte mir trotzdem noch eine andere Art von Umgang mit der Natur! Der Spagat zwischen lustvollen Wandern eingebettet in die angenehmen Vorteile der Zivilisation ist vielleicht in den österreichischen Bergen, nicht aber am Appalachian Trail  zu schaffen! 
Also es ist unbestritten, dass Trailwandern nicht immer lustgewinnend ist! Worin liegt aber dann der Lustgewinn? Ich wußte vor meiner ersten Etappenwanderung, dass ich die Geduld hatte, mit mir allein einen ganzen Tag zu verbringen! Erst dachte ich mir, wau, du hast einen ganzen Tag Zeit zu denken! Was wird da wohl rauskommen! Ich war sehr überrascht, dass es nicht einmal einen Tag dauerte vollkommen abzuschalten! Spätestens am 3. Tag dachte ich an überhaupt nichts mehr! Der Kopf war frei, sowas von frei, dass ich in der Lage war, meine Umgebung wirklich wahrzunehmen, zu erfassen! Diesen Zustand empfinde ich als Genuß, als Lustgewinn! Natürlich sind die netten Abende am Shelter eine tolle Sache! Aber wenn du in der Lage bist, einen schönen Schmetterling am Wegesrand richtig wahrzunehmen, dann bist du mitten drin im Weitwander- oder Trailfeeling! Meines Erachtens sollte jeder der spirituelle, geistige Erneuerung, Reinigung usw. sucht, sich Mutter Natur anvertrauen und sich nicht dem Kommerz am Jakobs Weg ausliefern.
Ich war bei meinen Wanderungen immer allein unterwegs! Es gab nie ein Problem damit! Ich brauchte nie auf jemanden zu warten, ich konnte immer meinen Plan umsetzen. Natürlich trifft man am Trail und am Shelter immer Menschen! Alle die dasselbe Tempo gehen triffst du immer öfter an den Sheltern. Ich habe oft allein in Sheltern geschlafen und nie eine Situation erlebt die irgendwie bedenklich oder gefährlich gewesen wäre. Also ich habe mit mir allein bisher die besten Erfahrungen gemacht. Es braucht niemand Bedenken zu haben eine Weit- oder Trailwanderungl alleine in Angriff zu nehmen.
Christian aus Hamburg legte in seinem letzten Blog als Thru-Hiker / Durchgeher seine Gründe für den Abbruch der Wanderung dar und erntete teilweise grobe Kommentare! Versager, Warmduscher usw. waren die Reflektion! Natürlich ist Christian kein Versager, kein Warmduscher! Wer 1200 KM am Appalachian Trail zurücklegt hat einen guten Job gemacht! Und vielleicht macht er ja den Appalachian Trail als Etappenwanderer fertig! 

Etappenwanderer haben es ja wirklich wesentlich leichter! Sie können sich die Jahreszeit aussuchen, brauchen sich nicht im März oder April den Arsch abfrieren, haben es bei der Gepäcksplanung leichter usw. Aber stimmt das wirklich? Müssen Etappenwanderer nicht oft über Jahre die Spannung und die körperliche Fitness aufrecht erhalten! Ist dies unter Umständen nicht oft schwieriger als 5 – 6 Monate reinzubeißen?
Für meinen Teil hieß das Abenteuer Weitwandern auch, dass ich meine Lebensweise diesem Ziel völlig unterordnete! Ich stellte meine Ernährungsweise um, nahm über 25kg ab und begann zu trainieren. Seither bestimmt Bewegung mein Leben! Gehen, Laufen, Radfahren und das 5-6 mal in der Woche. Seit März 2013 bin ich ohne die Weitwanderung am Appalachian Trail ca. 21.000KM gegangen, gelaufen! Ich bin mit meinen jetzt 62zig Jahren so fit wie nie zuvor! Dies alles verdanke ich dem Projekt Appalachian Trail.
Im August 2018 stand ich am Gipfel des Mount Kathadin und habe damit die Weitwanderung am Appalachian Trail abgeschlossen. Es war ein sehr emotioneller Moment! Seither widme ich mich meiner Weitwanderung auf dem Rupertiweg in Österreich. Dieser Weg brachte mich seit 2016 vom Bärenstein im Böhmerwald bis nach Spittal a.d. Drau. Ca. 600 Kilometer durch wunderschöne österreichische Landschaften und Gebirge zu wandern, war Genuß pur!